Donnerstag, 15. Mai 2014

A propos Schonzeit

Wenn ich von Schonzeit rede, dann ist das auf uns alle bezogen. Was faselt der von Schonzeit, und was hab ich damit zu tun? wird sich jetzt, zu  Recht, der Eine oder Andere fragen. Nun gemeint ist damit, dass wir alle uns so langsam an den Gedanken gewöhnen müssen, dass wir unser Verhalten und unsere Einstellung gewissen Sachverhalten gegenüber ändern müssen. Ich sehe jetzt schon die Reaktionen vor mir, die dieser Satz bewirkt.Sie lassen sich ansiedeln im Bereich zwischen "Nicht schon wieder so ein weichgewaschener Esoterik-Öko-Fuzzi mit seinem Weltverbesserungsgelabere" und "Ja toll, lasst uns Ringelpiez mit Anfassen tanzen und dann ein paar Bäume küssen für den Weltfrieden".
Ich halte es in diesem Fall mit Artistoteles und seiner Nikomachischen Ethik. Der gute Aristoteles beschreibt nämlich in diesem Buch die sogenannten ethischen Tugenden, welche propagieren, dass extreme Ausprägungen von möglichen Handlungsweisen oder Sachverhalten nie, oder nur in Ausnahmefällen, die geeignete Wahl darstellen (er erklärt es anhand einer Menge von Beispielen wie: Tapferkeit: die eine mögliche extreme Ausprägung wäre ihre komplette Abwesenheit also Feigheit.Nicht gut.Das andere Extrem wäre Tollkühnheit.Auch nicht gut. Also bleibt nur das Mittelmass als Ideal).
Was ich mit alldem sagen will ist, dass unser Leben sehr vielen verschiedenen Einflüssen unterliegt (Technologie,Berufswelt,soziales Umfeld...) die seine Entwicklung maßgeblich lenken und zur Ausbildung eines Habitus führen. Und um genau diesen Habitus, der idealerweise den Anforderungen unserer heutigen Zeit angepasst ist, und keine extreme Ausprägung haben sollte, geht es.
Die Frage die sich jetzt automatisch stellt ist: Wie sieht ein an heutige und zukünftige (wir wollen uns ja weiterentwickeln,nehm ich an) Anforderungen angepasster (und nicht extremer) Habitus aus?
Also das "nicht-extreme" ist schnell anhand eines Beispiels demonstriert z.B. ist jede Form von Suchtverhalten der Ausdruck eines extremen Habitus, oder ein Serienmörder hat auch einen extremen Habitus. Ich denke dazu brauchen wir wohl nicht mehr allzuviel zu sagen, ausser dass ungehemmtes Konsumverhalten und Gleichgültigkeit gegenüber Schicksalen Anderer auch extreme Habitus sind.
Und um es mal ganz salopp auszudrücken, wer es heute "schaffen" will, muss nicht mehr wissen, wie man einen Säbelzahntiger erlegt, sondern er braucht Fähigkeiten wie Medienkompetenz, er muss "nutzenmaximierend" denken können, er soll fähig sein kritisch zu denken, muss Empathie haben, intelligent sein, über Wissen aller Art verfügen, Teamfähig und autonom, genauso wie flexibel und anpassungsfähig sein und so weiter und so fort. Da wünscht man sich den Säbelzahntiger ja fast schon wieder zurück.
Aber Spaß beiseite, dies sind, unter Anderen, genau die Fähigkeiten, die es einem erlauben sich heute in der (realen und virtuellen) Welt wiederzufinden. Es gibt dabei nur ein kleines Problem, eine winzig kleine Paradoxie. Während einerseits genau diese Fähigkeiten gefordert sind,und den Weg zu einer erfolgreichen beruflichen Laufbahn ebnen können, scheint es so als wolle man die Leute gleichzeitig für dumm verkaufen, denn wenn man sich das mediale (und auch sonstige) Angebot anschaut, dann findet man (als kompetente Person) schnell heraus wieviel Humbug, Lügen und Massenverblödung propagiert wird. Es scheint auch irgendwie so, als ob von einem erwartet würde, diesen Quatsch hinzunehmen, und glücklich damit zu werden. Also einerseits sollen wir möglichst schlau und kritisch sein, aber andererseits möglichst jede Lüge, Vertuschungsaktion oder manipulative Werbung und sonstigen Mist einfach mal schlucken und gefälligst den Mund halten.
Damit diese seltsame Geschichte etwas mehr Sinn bekommt, müssen wir sie mit einer Prise Bourdieu verfeinern, dieser hat nämlich unterschiedliche Habitus unterschiedlichen sozialen Klassen zugeordnet(wobei das ökonomische, kulturelle, soziale und symbolische Kapital eine entscheidende Rolle spielen). Wenn wir diesen Faden weiterspinnen, kommen wir ungefähr zu Folgendem: bestimmte soziale Klassen verfügen, durch die unterschiedlichen ihnen zur Verfügung stehenden Formen des Kapitals, über jeweils spezifische Bedingungen die im Endeffekt dazu führen, dass diese sozialen Klassen (und der damit verbundene Habitus) sich immer weiter erhalten, im Fachjargon "reproduzieren" oder auch "perpetualisieren". Um es mal einfach zu sagen : diejenigen die über genügend Kapital (unterschiedlicher Form) verfügen, haben dann auch gute Chancen einen Habitus auszubilden zu können, der auch jene erwähnte Kompetenzen umfasst. Das führt natürlich automatisch zur weiteren Annahme, dass diejenigen, die nicht einer solchen sozialen Klasse angehören auch dementsprechend andere Habitus ausbilden, und das wären die berühmten "feinen Unterschiede". Folglich gibt es dann auch schön abgestimmte Inhalte (in den Medien, der Politik usw...) für die unterschiedlichen "Geschmäcker", damit auch alle schön das bekommen was sie sehen wollen, und glücklich und zufrieden sind, und nicht auf dumme Gedanken kommen.
Damit wäre der Stier auch schon an den Hörnern gepackt (ich wollte schon schreiben der Teufel am Sack gepackt, aber das klingt doch sehr unschön), denn : was ist heutzutage DAS grosse Schlagwort?
Umdenken! Wir müssen umdenken, was unser Ressourcenmanagement angeht, wir müssen umdenken was unseren Umgang mit Technologie angeht, wir müssen umdenken was unser Konsumverhalten betrifft etc... Was aber bedeutet Umdenken? Eine Hinführung zu einer Änderung natürlich, und da wir uns nicht zum Schlechten, sondern zum Besseren hin ändern wollen, müssen wir herausfinden, was einer der Hauptgründe für die ja offensichtlich schlechte momentane Situation ist. Diese Frage ist, meiner Meinung nach, ziemlich schnell beantwortet: es ist hauptsächlich die Gier. Die Gier nach mehr Geld, mehr Stimmen, mehr Macht, mehr Ansehen, einfach MEHR.
Dieses Mehr-Wollen ist in dem aktuellen neo-liberalistischen kapitalistischen globalisierten System sogar konstitutiv enthalten. Ein System das auf immer mehr Wachstum ausgelegt ist,aber in einer Umwelt mit begrenzten Ressourcen eingebettet ist, kommt notgedrungenerweise irgendwann an sein Ende. Das grosse Problem das wir nun haben ist jenes, dass alle "grossen Player" der westlichen Industrienationen ökonomisches Kapital besitzen (das sogar noch aus Kolonoalzeiten stammt), das sie vermehren wollen, das geht aber (auch heute noch) nur auf Kosten von Anderen(Mehrwert schafft sich nicht von allein).Das aber wiederum ist ungerecht und nach dem neuesten Umdenken, soll ja auch die Ungleichheit beseitigt werden, und Chancengleichheit geschaffen werden. Ebenso wie eine Anhebung des Lebensstandards der armen, ausgebeuteten Schweine,denen wir unseren Wohlstand zu verdanken haben. Doch wie wir alle wissen, muss auf der Seite der Waage, wo Gewicht fehlt, etwas draufgelegt werden, und woher soll das denn kommen, wenn nicht von der anderen, zu schweren Waagschale.
Wir sehen also dass das Umdenken das stattfinden soll, an sich eine gute Sache ist,denn es soll dazu führen dass es vielen Menschen besser geht, wir sorgsamer mit unseren Ressourcen umgehen, die Menschen gebildeter werden,ihr Leben zufriedener leben können usw.... doch müssen wir uns fragen, ob die Wenigen, die enormen Profit aus dem ganzen System (in seiner Komplexität)ziehen, auch bereit sind ein Stück davon aufzugeben, denn genau darauf wird es hinauslaufen.
Doch eine grosse Chance haben wir: wenn man die Zukunft und zukünftige Habitus ändern will, muss man heute anfangen, und zwar in der Erziehung, bei den Erwachsenen der Zukunft.
Wenn wir es schaffen aus ihnen eine verantwortlich handelnde, sich geschlossen für eine bessere Zukunft einsetzende Einheit zu machen, dann haben wir gute Chancen weitere Massenvernichtungs-Feldzüge aus Gründen der Interessenvertretung, Ressourcenknappheit oder einfach nur Idiotie zu verhindern.
Daher ist für uns alle die Schonzeit vorbei, wir müssen aktiv werden, uns aus unserem, von den Medien und Politikern propagierten, aber auch selbstverschuldeten(weil es so schön bequem und einfach ist) Habitus des Funktionieren-Müssens im System bei gleichzeitigem Selbst-Belügen befreien.

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